Der Kobold hauste im Berg. Eigensinnig und grimmig von Natur, den Späßen, leichtfertigen Reden und hohlen Worten abgeneigt, verzichtete er auf Gesellschaft und brachte die Zeit damit zu, seine Stollen tiefer ins Berginnre zu treiben. Die Zeit war sein eigen Element, denn er kannte weder Tag noch Nacht, nicht Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Sein einziger Wechsel lag im Trieb der Tätigkeit: vom Bruch harten Gesteins erschöpft, ruhte er, bis seine Kraft nach neuer Arbeit rief. Auch konnte er im Dunkeln sehen, war unempfindlich gegen Wärme und Kälte und nährte sich von den Erzen, die er reichlich fand. So hallte es dumpf, von Schlägen, Stößen, Schaben, durch die finstern, feuchten Schächte.
So hallte es dumpf, von Schlägen, Stößen, Schaben, durch die finstern, feuchten Schächte.
Aber wie der Kobold Stollen durch den Berg trieb, bald nach links, bald nach rechts, doch meist in die Tiefe, so grub auch unablässig ein Gedanke in ihm selbst, unsichtbar während der Arbeit, kenntlich während der Rast. So wuchs das doppelte Bergwerk weiter und weiter. Und einmal plötzlich, als er wieder den schweren Hammer schwang, um starren Stein zu brechen, da ließ er ihn leichthin fallen und kehrte der kahlen Felsenwand den Rücken.
Er drang durch seine Schächte in die Höhe. Misstrauisch zunächst, streckte er den Kopf aus dem Berg. Er sah nun, was er schon im Traum gesehen, nur reicher, feiner, schöner, und der Schleier des Traums hatte sich entzogen und das Offene befreit. Die blasse, stumme Mondscheibe stand hoch über dem weiten, weißen Land, und der pulvrige, unberührte Schnee bedeckte die schwebende Ebene, kleidete die Tannen und hüllte alles in Frieden. Der Kobold erfreute sich an diesem Anblick, dann stieg er vom Gebirge herab.
Mit Leichtigkeit glitten seine Schritte über den kahlen, furchigen Bergrücken. Er durchwanderte die Wälder, sprang über die gefrorenen Bäche. Das Wild, zahm, floh nicht vor ihm. Endlich erreichte der Kobold offenes Land. Matt und still lag der Schnee vor ihm ausgebreitet. Da zog ein fernes Licht seinen Blick an, und er nahm seinen Weg dahin.
Er war schon nahe, da zeigte sich eine Gestalt, die aus dem großen Bauernhaus kam und auf einen Schuppen zuging. Als der Bauer den Kobold sah, grüßte er ihn sofort freundlich und trat zu ihm hin.
„Was treibt dich durch so eine kalte Nacht?“, fragte der Bauer und hauchte sich in die Hände.
„Ich war lange im Berg“, sagte der Kobold, den Erstaunen befing. „Sag einmal, warum bläst du Luft auf deine Hände?“
„Um sie zu wärmen“, erwiderte der Bauer.
Da zog ein fernes Licht seinen Blick an, und er nahm seinen Weg dahin.
Dann bot er dem Kobold an, sein Gast zu sein, man würde bald zu Abend essen. Im Hause lernte der Kobold die ganze große Familie kennen, und während noch die Mahlzeit bereitet wurde, ließ er sich von den Kindern belehren über Winter und Sommer, Aussaat und Ernte, Herbstlaub und Frühlingsblüten.
Sofort sprangen die Kinder freudig auf, als zum Essen gerufen wurde. Der Kobold erhielt den Ehrenplatz am langen, schweren Tisch. Gerührt bedankte er sich dafür mit großen Worten. Noch indem er sich setzte, rühmten ihm bereits die Kinder die köstliche Suppe, mit vielerlei Kräutern verfeinert. Die Feuerstelle tauchte das große Zimmer in feierliches Purpur, machte die weiß verputzten Wände mild erglühen und ließ ein heiliges Glimmen über der Familie schweben, die nun ihre fromme Andacht hielt. Der Kobold war ganz Herz, und die Tränen stiegen ihm ins Auge.
Endlich konnte die dampfende Suppe von der fleißigen Bauersfrau aufgetragen werden. Der Bauer sah erfreut zu, wie alle ihren Teller erhielten, dann blies er auf den seinen. Da fragte der Kobold verwundert: „Warum bläst du Luft auf deine Suppe?“
„Um sie abzukühlen“, sagte der Bauer.
Voller Schreck fuhr der Kobold von seinem Sessel auf. „Unmöglich!“, rief er aus zwischen Angst und Zorn. „Ich sitze mit Wesen an einem Tisch, aus deren Mund es einmal warm kommt und einmal kalt!“
Überstürzt verließ er das erwärmte Bauernhaus und floh hinaus in die eisige, winterliche Nacht. So kehrte der Kobold heim in den Berg.
Erstmals erschienen in: LOG – Zeitschrift für Internationale Literatur 144/2014