Am Tag von Vogels Geburt war es bewölkt. Vogel war auch ein trübes Kind, aber mochte Latein gerne und freute sich über die Scheidung seiner Eltern, als sie endlich kam, und war der Ansicht, dass sie vernünftigerweise schon viel früher stattgefunden hätte als nun, wo er beinah schon studierte und bald allein wohnen würde, und als er schließlich studierte, saß er im Volksgarten und sinnierte über den blauen Himmel, den er sich wolkenlos wünschte, die Wolken neidig findend und umso boshafter, je finsterer, doch der blaue Himmel, jedenfalls, so weit er ihn sah, und gerade heute war er fast unbefleckt, der sagte ihm, dass alle Dinge unwichtig waren, um die er sich sorgte, um die sich alle andern Menschen im Volksgarten sorgten, die dieselben Dinge waren, dieselben Hoffnungen, nämlich auf Liebe, Beruf, Besitz und Zukunft, aber ihm schien der blaue Himmel dieses Geheimnis zu offenbaren, nicht allen andern Menschen im Volksgarten, obwohl auch über ihnen derselbe blaue Himmel, sich beständig auflösend und ohne Festigkeit und Bindung bestehend, sich ausbreitete, aber wahrscheinlich waren die Leute irgendwohin unterwegs und mit Geist und Gedanken schon bei ihrem Ziel, wie auch Vogel ins Seminar eilen musste, das er nur sehr kurz überhaupt vergessen hatte, aber als er dort war, war er ganz dort, konzentrierte sich und war der Beste und so auch später in der Kanzlei, wo er jeden Tag lange arbeitete, eigentümlich besessen manchmal, und hierüber keinen Einwand gelten lassen wollte und einmal sogar sagte, das Kamel in der Wüste mache auch nicht Feierabend, was sich alles zu einer festen Gewohnheit entwickelte, sich längst dazu entwickelt hatte, als er eines Nachmittags die Kanzlei verließ, um vor dem Hochstrahlbrunnen zu sinnieren, nicht zu denken, ja, zuletzt vor allem, um dem endlosen und sinnfreien Sprühen und Springen der Fontänen zuzusehen, und um die Gedanken darüber sich ausdenken und zerrinnen zu lassen, wie es gekommen war, dass Elisabeth ihn verlassen hatte, weil er sie nicht geliebt hatte, wovon er gesagt hatte, dass das in der Tat ein Verbrechen sei, worauf sie geantwortet hatte, dass sie das überhaupt nicht behauptet hätte, ja nicht einmal auf eine solche Idee gekommen wäre, und obwohl Vogel nun hoffte, dass der Hochstrahlbrunnen seine Ratlosigkeit durch merkwürdige Inspirationen beseitigen würde, heiratete er schließlich eine andere, hatte ein Kind mit ihr, aber gestand sich bald, dass die „wahre Liebe“ auch hier nicht vorliege, und ließ sich scheiden, überraschend und überstürzt in den Augen vieler, solange sein Sohn noch klein war, sein Sohn, der immer ein trübsinniges Kind bleiben sollte, kein Sprachtalent hatte, aber dafür in der Mathematik leidlich begabt war, und der gelegentlich mit Vogel zu tun hatte, der nun alt wurde, noch älter, und gerne Spaziergänge machte, wobei er auf einem sogar, es war im Stadtpark gegen Mitternacht, es war eine milde Frühlingsnacht nach einem Regentag, auf der Wiese einen Igel sah, einen kleinen Igel, der sich allerdings bald in einen Schatten trollte, wie irgendein beliebiges, überflüssiges Hüttchen ihn warf im Schein der Laternen, sodass Vogel sich nun ärgern musste, dass das Vergnügen so kurz gewesen war, und hierauf alt wurde, noch älter, und dann ganz alt und dann starb er. Für mich war das Begräbnis langweilig.
Erstmals erschienen in: LOG – Zeitschrift für Internationale Literatur 140/2013