Lesetagebuch: Cervantes, Don Quixote (Erstes Buch)

Ich bin erst seit ein paar Tagen fertig aber, vermisse ihn jetzt schon. Von einem Roman bleibt einem neben der Hauptfigur, wenn es gut läuft viel an Welt und Atmosphäre. Der historische und kulturelle Abstand mag einiges dazu beitragen.

Die Welt der frühen Neuzeit, wie wir auch hier sehen, war dreckig und gewalttätig und in vieler Hinsicht primitiv. Man sieht auch hier in Sancho Pansa den zeitlosen Magenmenschen mit seiner naiven Gier. Das Wort „zeitlos“ verwende ich nicht oft, aber Sanchos Pendants in der Gegenwart oder selbst im alten Griechenland kann man sich leicht vorstellen; eine andere Kultur stellt ihnen andere Rechtfertigungen zur Verfügung, auch andere Gebote, um ihren bescheidenen Anspruch auf Rechtschaffenheit zu erfüllen.

Don Quixote ist als stark identifikatorische Hauptfigur konstruiert. Er hat ein großes Ziel mit endlosen Hindernissen, ist höchst aktivistisch, erlebt dabei zahllose Rückschläge und macht doch immer wieder weiter. Er ist geradezu ein abstraktes Maximum des Romanhelden, weil sein Ziel unmöglich ist: darum sind die Hindernisse und Rückschläge unbegrenzt, aber ebenso die erwiesene Unbeirrbarkeit. Ein Traum von Unbesiegbarkeit im Modus der Ironie. Die gute Ironie ist voller Gefühl und hat darum nicht nur die Fähigkeit, sondern auch das Recht das kritische Bewusstsein zu bestechen.

Die Komposition überschreitet comme il faut die novellistische oder dramatische Einheit der Handlung. Teils durch eingeschaltete Novellen und Theoriedialoge, teils durch die episch-additiven Abenteuerepisoden. Ähnlich wie die Odyssee (deren Haupthandlung die Wiederinbesitznahme des Hauses ist, nicht etwa die Heimreise, welche doch bei uns die Odyssee sprichwörtlich gemacht hat) hat der Don Quixote durch das Komplott des Pfarrers eine offene Handlungsschale (in welche noch allerlei gefüllt werden kann). Man könnte auch sagen Halbschale, nach dem Bild einer Suppenschüssel. Das Gegenbild (geschlossen) ist die strenge Einheit der Handlung, wo noch das geringste Element nur als deren Zuträger eine Daseinsberechtigung hat.

Natürlich sehen wir in Don Quixote den sentimentalischen Helden der Neuzeit, der durch seine Ideen von der Gesellschaft isoliert wird. Zum Glück ist er aber auch wie dargestellt der aktivistische Erzählheld par excellence, kein deutscher Nasenbohrer.

Markant war für mich außerdem der halbterritoriale Charakter der spanischen Monarchie, die Teilpräsenz des Staates. Noch muss sich jeder Reisende selbst um seine Sicherheit kümmern, doch werden Übeltäter von der Heiligen Brüderschaft verfolgt. Noch wird ein gemeingefährlicher Irrer wie Don Quixote freigelassen, das heißt der Obhut seines Dorfes übergeben. Noch gibt es „wilde“, völlig gesetzlose Räume wie das schwarze Gebirge.

Wahrscheinlich ist es die territoriale Sicherheit, die in späteren Zeiten Abenteuer unmöglich macht oder sie kriminellen vorbehält. Wir sprechen von Abenteuer im engeren Sinn, als bestimmt durch das Risiko für Leib und Leben.

Lesetagebuch: Derrida, Ousia et grammè

Derrida reflektiert 'Sein und Zeit' mit Vorbehalten, aber begibt sich ins Lager des späten Heidegger; vor allem 'Spruch des Anaximander'. 'Unterwegs zur Sprache' wird hier nicht rezipiert, aber der „Unterschied“ dort müsste in einigem Bezug zur Sache hier stehen.

Die Präsenz im Sinne der Metaphysik ist selber die Spur der ausgelöschten Spur (Marges 77) des Seins als anwesend durch Zeit statt als Vorhandenes bzw. Vorhandenheit zum Stehen gebracht.

Une écriture sans présence (78) – ist damit das gemäße Verständnis der Kunst als ein Geschehen von Wahrheit bezeichnet? Die Vernunft (Onto-theologie) kann sie nicht überprüfen; mithin auch nicht gutheißen, sodass sie sie wohl eo ipso verwirft, wo sie sie nicht als „Vorschein der Wahrheit“ (als dekretiert von der Philosophie) lesen kann.

Wenn die Kunst die Wahrheit bringt, dann niemals als fest gehabte, der man sich gar nach Muster des Sittengesetzes zwingend fügen müsste, die man universal verkündigte, mit Gewalt durchsetzte etc. All das ist nur Neuzeit.

Die ,andere Verbindlichkeitʻ der Kunst liegt in der Leuchtkraft des Schönen und in der Zugkraft des Symbols (Gleichnis als Zugang zum „Gefühl“ nach Musil). Die Kunst überzeugt unmittelbar. Die Reflexion als solcherart ausgeschlossene Mittlerinstanz wird die weitläufigsten Umwege benötigen, um das zu akzeptieren. Falls das Jahrhunderte dauert, können wir von Glück sagen, dass diese Umwege auch seit Jahrhunderten erforscht werden.

Für Gefühl und Geschichte.

Prosa: Hirnbegrünung

Der Weg stieg an, recht steil und schmal, und Flecken und Streifen von Licht leuchteten darauf, totes, altes Laub bedeckte den Boden und viele dicke Steine waren in ihn eingemengt und viele dicke Wurzeln. Zum Hohlweg verengt stand die stein- und wurzeldurchsetzte Erde auch links neben den Köpfen, und wie mit Staub und Spinnweben überzogen, löchrig und wie nach unten gesogen, schien die Erde herabzuhängen wie die Äste einer Weide am Teich. So hing auch Gras, in vereinzelten Sträußen. Glatt und nackt reckten sich die zahlreiche Stämme, und nur die Kiefern rau und rissig. Wie das Licht durchbrach, so leuchteten die grünen Blätter oder waren matt und dunkel, und hell leuchteten die Kronen und gaben dahinter nur in Rissen und Stücken das lichte Himmelsblau frei, das darum wie eine Decke wirkte, eng und endlich. Leises, fernes, gelegentliches Vogelzwitschern erklang, und leises, fernes, gelegentliches Motorenrauschen verfloss, und das alte Laub, jene kleinen Blätter, Kiefernnadeln dazwischen, raschelte unter ihren Füßen. Unser schwebendes Gehirn verlässt den Hohlweg. Nach einer spitzen Kurve steigt es geradewegs zu einer (echten) Ruine hinaus, betritt es durch zwei Torbögen hindurch, durch einen Turm von grob behauenen Steinen.

Kastanienbäume wuchsen und Sträucher, Efeu wucherte an den alten Mauern. Fels stand steil und ein wenig, manchmal, lugten Stufen daraus hervor. Dahinter, darüber, brachen die hellen Strahlen der Sonne herein, diese aber selbst war noch unsichtbar. Ein enge Tal öffnete, grün, nur am Fuße des Burgberges schien es breiter, dort befanden sich Villen, Wohnanlagen, die Straße, viele Bäume ragten, steif gedrängt oder buschig offen, und rotbraune Tennisplätze breiteten sich aus. Die Sonne stand links und strahlte warm, strahlte heiß, brannte auf das Aerozerebrum, hoch über dem Berg gegenüber, der groß und breit ruhte, ganz mit grünen Bäumen bezogen wie ein einziger, aber riesiger Stein und selbst gar nicht zu sehen, sondern gekleidet in wattiges, dickes Moos. Und so auch das Tal auf unserer Seite, wenn wir geradeaus blicken, hinter die Kiefern. Doch die gedehnten und geschwungenen grünen Höhen verbargen das weitere Schlängeln des Tals und verschlossen es dem schweifenden Blick. Die Berge und Hügel lagen teils in heller Sonne, teils im Schatten, und einmal weich, einmal scharf, stiegen sie an. Jenseits der Straße waren die Tennisspieler nur klein zu sehen, doch das helle hohle Tock ihrer Schläge ist genau zu vernehmen. Das nahe Zirpen war manchmal lichter, leichter, dann aber dick und dunkel raschelnd. Die Sonne ließ nicht nach, und die Kiefernnadeln glitzerten, und ganz nackt und nur mit einer platten Krone versehen, ragte eine Kiefer vor ihnen, stehend unter anderen, reicheren. Wenige Schritte gegenüber stak ein Fels, ganz senkrecht, wie rau und wirr abgeschlagen und von grau-sandiger Farbe. In einem leichten Hauch wehte der Wind sie an, aber die Wolken am Himmel, in der Mitte dick, am Rande ausgefranst, schienen ganz reglos zu verweilen. Auch gerade über uns, dem tausendgewundenen Flughirn, streckte eine Kiefer ihre Glanznadelarme. Unter manchem Ragen eines dünnen Felsens oder eines dürren Baumes, fiel der Burgberg links neben ihnen steil ab. Die Schatten wurden nicht länger. Und das schwebende Gehirn schwebt dahin... bzzzzz... bzzzz.........